Chemienobelpreis 1970: Luis Federico Leloir

Chemienobelpreis 1970: Luis Federico Leloir
Chemienobelpreis 1970: Luis Federico Leloir
 
Der argentinische Wissenschaftler erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung der Zuckernucleotide und deren Funktion in der Biosynthese der Kohlenhydrate.
 
 
Louis Federico Leloir, * Paris 6. 9. 1906, ✝ Buenos Aires 3. 12. 1987;1936 Tätigkeit am Biochemical Laboratory of Cambridge (England), ab 1941 Professor an der Universität von Buenos Aires, 1947 Direktor des Instituto de Investigaciones Bioquímicas der Fundación Campomar (Buenos Aires); arbeitete über Fettsäureoxidation und die Biosynthese von Polysacchariden, isolierte das erste Zuckernucleotid.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Kohlenhydrate stellen den quantitativ größten Teil der irdischen organischen Substanz. Die vielgestaltigen Verbindungen werden überwiegend von pflanzlichen Organismen gebildet. Neben den einfachen Zuckern, den Monosacchariden, und ihren Derivaten, den Zuckersäuren, Zuckernucleotiden und Aminozuckern, gehören auch zusammengesetzte Verbindungen wie die Oligo- und Polysaccharide, zum Beispiel die Stärke, zu den Kohlenhydraten. Pflanzen und Tiere gewinnen ihre zur Aufrechterhaltung der Lebensprozesse notwendige Energie in erster Linie aus dem Abbau des wichtigsten Betriebsstoffs, der Glucose (C6H12O6, Traubenzucker).
 
Die immense Bedeutung des Kohlenhydratstoffwechsels für die Biologie spiegelt sich auch in den für dieses Forschungsgebiet ausgesprochenen Nobelpreisen wider. So wurde der Citratzyklus, der Mittler zwischen Auf- und Abbau im Stoffwechsel, von Albert Szent-Györgyi (Nobelpreis für Medizin 1937), Hans Krebs (Nobelpreis für Medizin 1953) und dem deutschen Biochemiker Franz Knoop in den 1930er-Jahren aufgeklärt. Etwa zur selben Zeit hatte das Ehepaar Carl und Gerty Cori (gemeinsam Nobelpreis für Medizin 1947) einen Prozess aufgeklärt, bei dem das Polysaccharid Glycogen, ein aus Glucosebausteinen aufgebauter Reservestoff ähnlich der Stärke, reversibel enzymatisch zu Milchsäure abgebaut wird. Aufgrund dieser plausiblen Entdeckung ging man in der Biochemie allgemein davon aus, dass dies das einzige Prinzip des Kohlenhydratstoffwechsels sein müsse. Als dann noch Fritz Lipmann (Nobelpreis für Medizin 1953) 1941 in den USA die zentrale Rolle des chemischen Energieäquivalents ATP (Adenosintriphosphat) im Stoffwechsel entdeckte, waren fast alle Voraussetzungen für Leloirs bahnbrechende Forschungsleistung gegeben.
 
Leloir und seine Mitarbeiter begannen 1945 mit der Erforschung des Galaktosestoffwechsels. Sie stellten fest, dass bei der Transformation eines Zuckers in einen anderen die Mitwirkung einer bis dahin vollkommen unbekannten Substanz notwendig ist. Sehr schnell konnten sie Glucose-1,6-diphosphat und Uridindiphosphatglucose (UDPG) isolieren. 1953 erkannten sie, dass das UDPG als Glucosespender bei der Synthese der Trehalose fungiert. Zwei Jahre später konnten sie dies auch für einen weiteren Zucker, die Saccharose, nachweisen. Wenig später isolierten sie das Uridindiphosphatacetylglucosamin und die Guanosindiophosphatmannose.
 
 Mechamismus der Glycogensynthese
 
Im Jahr 1957 gelang es ihnen, einen alternativen Mechanismus für die Synthese des Glycogens zu präsentieren. Sie hatten mit dem Uridintriphosphat (UTP) ein neues dem ATP analoges Coenzym entdeckt. Das UTP bildet zusammen mit Glukose-1-Phosphat das Zuckernucleotid UDPG. Bei Anwesenheit eines spezifischen Enzyms und eines UDPG entsteht UDP. Gleichzeitig wird die Glucose in die wachsende Glycogenkette übertragen. Glycogen ist ein langkettiger verzweigter Reservestoff, der aus Glucosebausteinen aufgebaut ist. Bei Anwesenheit von ATP wird das UDP wieder in UTP zurückverwandelt und die Reaktion kann von neuem beginnen. Es wurde sehr schnell deutlich, dass dies der Prozess ist, nach dem die Glycogensynthese im Körper abläuft. Der Cori-Prozess ist dagegen vor allem für den Abbau des Glycogens verantwortlich.
 
Die Physiologie hatte mit dem schlichten enzymatischen Stoffwechsel der Kohlenhydrate ganz gut leben können. Umso verblüffender war es, als Leloir seine Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellte. Denn mit einem Schlag wurde offensichtlich, dass das Verständnis der zahllosen Synthesereaktionen in allen Lebewesen bis dahin bruchstückhaft und unvollständig gewesen war. Es war allgemein angenommen worden, dass die Synthesen direkte Umkehrreaktionen des gut bekannten biologischen Kohlenhydratabbaus darstellten. Leloir stellte mit seinen Ergebnissen das Verständnis dieser Prozesse auf eine neue, vertiefte Grundlage.
 
 Eine neue Welt öffnet sich
 
Leloir erkannte sofort, dass er nicht ein einzelnes Reaktionsprinzip entdeckt hatte. Er hielt plötzlich den Schlüssel in Händen, um eine große Zahl von Stoffwechselreaktionen zu erschließen. Er hatte die Pforte in ein Gebiet der Forschung geöffnet, in dem sich viele ungelöste Fragen der biologischen Chemie türmten. Viele Wissenschaftler begannen unmittelbar, das Feld der Zuckernukleotide zu erforschen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass nur wenige Entdeckungen die biochemische Forschung so beflügelt haben wie die von Leloir. Schon bald nach seiner Entdeckung des ersten Zuckernukleotids fand er etliche weitere Verbindungen dieses Typs in der Natur. Doch auch andere Forscher wurden fündig. Zum Zeitpunkt der Preisvergabe waren schon über hundert Zuckernukleotide, die notwendige Teilhaber an vielen Reaktionen sind, isoliert und charakterisiert.
 
Wesentlich wichtiger als der Nachweis des ersten Zuckernukleotids war Leloirs Entdeckung, dass alle Synthesen in Wirklichkeit Transferreaktionen darstellen. Die Zuckeranteile der Zuckernucleotide werden auf empfangsbereite Moleküle übertragen, die dadurch an Größe zunehmen. Die aus biochemischer Sicht wahrscheinlich sensationellste Entdeckung Leloirs war, dass die Synthese hochmolekularer Polysaccharide auf dieselbe Weise abläuft. Das erste Beispiel, das die fundamentale Rolle der Zuckernucleotide in der Polysaccharidbiosynthese zeigte, war die Glycogensynthese. Es wurde schlagartig deutlich, dass die Polysaccharidsynthese nicht einfach die schlichte Umkehrung des biologischen Abbaus darstellt. Leloir hat gezeigt, dass die Natur sehr unterschiedliche und voneinander unabhängige Prozesse für Synthese und Abbau der Stoffe bereithält.
 
 Sein Arbeitsgebiet war vorgezeichnet
 
Leloir wurde in Paris als Sohn argentinischer Eltern geboren, die zwei Jahre später nach Buenos Aires übersiedelten. Nach dem Studium arbeitete er ab 1932 zwei Jahre bei dem argentinischen Physiologen Bernardo Houssay (Nobelpreis für Medizin 1947) über den Zuckerstoffwechsel. 1936 ging er für ein Jahr nach Cambridge in England. Danach arbeitete er wieder bei Houssay, bis nach der Militärrevolution 1943 dessen Forschungsinstitut geschlossen wurde. Leloir ging deshalb nach Saint Louis, um bei dem Ehepaar Cori am Glycogenstoffwechsel zu arbeiten. 1945 kehrte er in sein Heimatland zurück und schloss sich erneut Houssay an. Er wurde Direktor des von der privaten Campomar-Stiftung finanzierten Instituts für Biochemie. Trotz der bescheidenen Mittel, die ihm dort zur Verfügung standen, überraschte Leloir die Welt der Biochemie mit einer der wichtigsten Entdeckungen der Nachkriegsjahre.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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